Zuversicht

Du siehst ganz schön zuversichtlich aus“, war der Satz einer Freundin und als Nachsatz hat sie wahrscheinlich gedacht: „für das, was in deinem Leben gerade los ist.“

Ich habe ihr mit einem Gedicht geantwortet, das mich schon länger begleitet und das ich sehr liebe. Jetzt teile ich es mit dir:

Prayer

Refuse to fall down

If you cannot refuse to fall down, refuse to stay down.

If you cannot refuse to stay down, lift your heart toward heaven, and like a hungry beggar, ask that it be filled.

You may be pushed down.

You may be kept from rising.

But no one can keep you from lifting your heart toward heaven – only you.

~ Clarissa Pinkola Estes

Niemand, aber auch wirklich niemand kann dich abhalten, dein Herz dem Himmel entgegen zu strecken, nur du selbst.

Ich kann nicht rückgängig machen, dass mein Mann sich getrennt hat, ich kann die fortschreitende Demenz meiner Mutter nicht aufhalten, die Kündigung der Pflegekraft nicht ändern, meine körperlichen Beschwerden muss ich einfach hinnehmen…

Was ich kann ist, mich immer und immer wieder neu auszurichten. Das habe ich in den letzten Jahren geübt und übe es weiter.

Niemand kann mich abhalten mein Herz Richtung Himmel zu erheben. Nur ich selbst.

Blick in den Himmel

Manchmal ist man einfach frustriert

Und ja, in den letzten Tagen habe ich manchmal gedacht, „nicht auch das noch“. Ich habe es auch vor manchen Menschen ausgesprochen: „ich kann nicht mehr – ich bin am Limit“. Auch das ist Leben.

Ich habe erst im letzten halben Jahr so richtig verstanden, dass mir niemals jemand eine perfekte Barbie-Welt versprochen hat. Irgendwie bin ich immer davon ausgegangen, dass es das Lebensziel ist, ein Leben mit möglichst viel „rosa Seiten“ zu führen, das möglichst harmonisch, möglichst perfekt ist. Spätestens seit dem Barbie-Film wissen wir, dass selbst die Barbie-Welt durcheinander geraten kann.

Der Stoff des Lebens besteht aus Höhen und Tiefen

Der Stoff des Lebens besteht aus Höhen und Tiefen, aus Licht und Dunkel, aus Schmerz und Freude. Warum tun wir eigentlich immer so, als würde es die Schattenseiten nicht geben? Als müssten wir alles Unperfekte eleminieren? Warum eigentlich? Wir posten nur die tollen, schönen Dinge, antworten auf die Frage: „wie geht es dir?“, fast immer mit „gut“ oder „passt“, auch wenn es gar nicht passt.
Das Schmerzvolle, Hässliche, Unperfekte hat scheinbar keinen Platz. Das wollen wir nicht. Maximal setzten wir uns noch mit den Nachrichten auseinander – Krieg, Ungerechtigkeit, Klimawandel, Leistungsdenken. Und betreiben, was im Englischen so schön „Othering“ heißt. Es sind die anderen, die schlimm sind, die die die Fehler machen. Die Politiker*innen, das Kultusministerium, die Kirche, der Staat, die Stadt, die Nachbarin, der Kollege,…
Trauen wir uns eigentlich hinzuschauen und festzustellen, dass die „böse“ Welt auch in uns ist? Oft beruhigen wir uns mit: „das ist die Gesellschaft…“ Dabei sind wir ja alle Teil der Gesellschaft und dürfen uns fragen, was diese Tendenzen denn mit uns zu tun haben. Ich nehme mich da nicht aus.
One Love

Verbunden sein schenkt Zufriedenheit

Mein eigener Perfektionismus treibt mich noch oft genug an, ich gestehe es mir erst in den letzten Jahren immer mehr zu auch mal schwach zu sein. Wir brauchen wieder mehr Kontakt zu unserem ganzen Sein, zu unserem Körper, zur Natur. Verbindung – nicht nur zu uns selbst sondern auch zu anderen und dem großen Ganzen. Dann kommen wir aus dem Jammern heraus in die Lösung, da bin ich sehr zuversichtlich.

Wie wir uns ausrichten, entscheiden immer noch wir. Wir haben mit unserem Neocortex die Ausstattung dafür. Das unterscheidet uns von den Säugetieren.

Dafür ist Bewusstheit nötig. Wenn wir nur funktionieren und im Autopilot täglich die gleichen Reaktionen abspulen, wird es schwierig mit der bewussten Entscheidung für die Hoffnung, für das „Raum halten“, den Blick vorwärts. Wir müssen üben einen Zwischenraum zwischen Reiz und Reaktion zu schaffen. Ob mit Achtsamkeitsübungen, mit Atemübungen, Meditation, Innehalten,… da gibt es viele Möglichkeiten. Wir müssen uns nur immer wieder (am besten gegenseitig) daran erinnern.

Gleichzeitigkeit

„Gleichtzeitgkeit“ ist ein gutes Stichwort. Ich habe gerade Bauchschmerzen und gleichzeitig singen die Vögel draußen. 

Es ist gerade eine schwierige Situation zu bewältigen mit meiner Mutter und gleichzeitig es gibt Menschen, die mich unterstützen.

Meine Ehe ist zerbrochen und nahezu gleichzeitig treten neue, interessante Menschen in mein Leben. Mir läuft eine Träne herunter, wenn ich das glückliche, alte Ehepaar sehe und gleichzeitig bin ich unendlich dankbar für meine Freunde und Freundinnen, für meine Kinder, für meine Freiheit,..

Ich bin manchmal „kalt“ vor Verbitterung und fast gleichzeitig kann ich Menschen warmherzig umarmen.

Welches „und gleichzeitig“ kannst du in deinem Leben entdecken?

zerbrechliche Schönheit

Eines meiner absoluten Lieblingsgedichte von Mark Nepo:

„… ein Duett aus Wunder und Trauer.“

Adrift

Everything is beautiful and I am so sad.
This is how the heart makes a duet of
wonder and grief. The light spraying
through the lace of the fern is as delicate
as the fibers of memory forming their web
around the knot in my throat. The breeze
makes the birds move from branch to branch
as this ache makes me look for those I’ve lost
in the next room, in the next song, in the laugh
of the next stranger. In the very center, under
it all, what we have that no one can take
away and all that we’ve lost face each other.
It is there that I’m adrift, feeling punctured
by a holiness that exists inside everything.
I am so sad and everything is beautiful.

Mark Nepo

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